Psychologie politischer Reden und Kommunikation

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Politische Psychologie: Denkorientierungen und Denkmuster von Führenden in der Politik

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Tabellen

Dogmatismustextanalyse (DOTA)

 

Kognitionspsychologischer Hintergrund

 

Schaut man in den DUDEN, ist ein Dogmatiker ein "starrer Verfechter einer Ideologie, Anschauung oder Lehrmeinung" und Dogmatismus wird dementsprechend als  „Starres Festhalten an Ideologien, Anschauungen oder Lehrmeinungen“ beschrieben (Duden Fremdwörterbuch, 1990, 195). Diese Definition trifft schon recht gut, was auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung unter diesem Begriff verstanden wird.

 

Das Dogmatismuskonzept ist bis heute eng verbunden mit Milton Rokeach, einem amerikanischen Sozialpsychologen. Seine Veröffentlichung  „The open and closed mind“ (1960) gilt als Start der Dogmatismusforschung im engeren Sinne.

 

Ausgangspunkt seiner Arbeiten waren die Untersuchungen der sogenannten Berkeley-Gruppe (Adorno, Frenkel-Brunswik, Levinson & Nevitt), die 1950 ihre Studie zur „autoritären Persönlichkeit“ vorgelegt hatte. Noch unter dem Eindruck des Hitler-Regimes und dem 2. Weltkrieg ging es der Berkeley-Gruppe darum, die Entstehung einer faschistisch-orientierten Persönlichkeit aufzuklären - nicht zuletzt auch mit dem Ziel, die verheerenden Entwicklungen in dieser Zeit unter einer psychologischen Perspektive zu interpretieren.

 

Rokeach galt als Kritiker der Berkeley-Gruppe. Seine Kritik bezog sich allerdings weniger auf die Ergebnisse der Berkeley-Studie, sondern vor allem auf die Fokussierung auf den rechts-gerichteten (faschistischen) Autoritarismus.

 

Wie Ertl hervorhebt, ging es Rokeach also in erster Linie darum, die Konfundierung im Ansatz der Berkeley-Gruppe von Autoritarismus als generelle „Geisteshaltung“ einerseits und konkreten ideologischen Inhalten andererseits aufzulösen:

 

„Diese Geistesverfassung, …, gehe quer durch verschiedene ideologische Richtungen und finde sich auch in Bereichen, die mit politischer oder religiöser Thematik wenig zu tun haben“ (1972, 242).

 

Letztlich war das Ziel, die rechts-ideologische Autoritarismusforschung zu einer ideologieneutralen, kognitionspsychologischen Autoritarismustheorie weiter zu entwickeln, wobei Rokeach - vermutlich aus Abgrenzungsgründen - den Dogmatismusbegriff aufnahm.

 

Zentral für das Verständnis der Dogmatismustheorie von Rokeach ist der Begriff des „belief-systems“, wobei unter „belief“ dem anglo-amerikanischen Sprachgebrauch folgend „the feeling that something is true or something really exists“ (vgl. Thomae, 1996, 41) verstanden wird. Diesem Konglomerat von Überzeugungen stehen sogenannte „disbeliefs“" gegenüber - also Denkinhalte, die von einer Person nicht geteilt bzw. abgelehnt werden.

 

Der Unterschied zwischen Menschen, die von Rokeach einerseits als „open-minded“ und andererseits als „closed-minded“ bezeichnet werden, liegt nun darin, dass das „belief-disbelief-system“ anders organisiert ist bzw. funktioniert. Bei geschlossener Denkorientierung sind Überzeugungen und Gegenüberzeugungen scharf voneinander abgegrenzt. Widersprüchliche Erfahrungselemente, die nicht mit den eigenen Kernüberzeugungen kompatibel erscheinen, werden entweder unterdrückt, deformiert, umgedeutet oder als irrelevant, unglaubwürdig, verwerflich etc. abgetan und in den Bereich der Gegenüberzeugungen „abgeschoben“.

 

Damit wird letztlich verhindert, dass das eigene belief-system nach entsprechenden Widersprüchen (kognitiven Dissonanzen) revidiert und langfristig gesehen immer wieder neu angepasst wird. Das System bleibt also starr und weitgehend unverändert. Offensichtlich ist es für dogmatische Personen schwerer, neue, widersprüchliche oder auch ungewöhnliche Denkinhalte in ihr Überzeugungssystem zu integrieren oder diese im Sinne der sogenannten Ambiguitätstoleranz einfach nur zu akzeptieren.

 

Hoher Dogmatismus ist also nach Rokeach mit starren Überzeugungen bzw. Überzeugungssystemen verbunden, die gegenüber alternativen (Welt-) Anschauungen scharf abgegrenzt und bisweilen auch kämpferisch verteidigt werden. Die geringe Ambiguitätstoleranz gegenüber anderen Haltungen ist dabei vor allem mit einem hohen Angstniveau, einer ausgeprägten Autoritätshörigkeit sowie einer „utopisch-visionären“ Zukunftsorientierung (z.B. der klassenlosen Gesellschaft, dem „Paradies“, etc.) verbunden.

 

 

Beschreibung des inhaltsanalytischen Messverfahrens

 

Zur Messung von Dogmatismustendenzen in Texten hat Ertl, mit direktem Bezug auf die Theorie von Rokeach, 1972 die Dogmatismustextanalyse (DOTA) vorgestellt, die nach Einschätzung einiger Autoren inzwischen zu den am besten validierten inhaltsanalytischen Verfahren gehört.

 

Die zentrale Idee des DOTA-Verfahrens besteht darin, dass sich Dogmatismus in der Sprache durch die häufige Verwendung prägnanzsteigender, verabsolutierender Worte und Phrasen ausdrückt (z.B. nie, immer, alle, niemand, total, unabdingbar, unausweichlich, alternativlos, jeglich, niemals, etc.).

 

Diese sogenannten A-Ausdrücke werden dann ins Verhältnis gesetzt zu relativierenden B-Ausdrücken (z.B. anscheinend, nahezu, womöglich, scheinbar, vermutlich, unter Umständen, augenscheinlich, mutmaßlich, etc.). Die folgende Tabelle enthält weitere Beispiele und darüber auch die definierten Unterkategorien:

 

 

Wichtig: Bei den A- und B-Ausdrücken handelt es sich um funktionale Worte und Phrasen, so dass das Verfahren inhalts- bzw. themenneutral ist und damit auf jeden Text angewendet werden kann. Mit anderen Worten: Es misst stilistische Denkorientierungen.

 

Auf den ersten Blick erscheint die grundlegende Idee von Ertl etwas „sperrig“, kann aber an einfachen Satzveränderungen veranschaulicht werden. Dazu im Folgenden ein Vergleich von drei Aussagen:

 

 

Gegenüber der ersten Aussage ist die zweite deutlich prägnanter (dogmatischer), was an den funktionalen Ausdrücken „alles“ und „immer“ liegt, während die dritte Aussage durch „manches“ und „vermutlich“ relativiert ist, d.h. der Geltungsbereich der Aussage ist gegenüber der ersten und zweiten stärker eingeschränkt.

 

Auf die vielfältigen Forschungsergebnisse mit dem DOTA-Verfahren soll hier nicht in jedem Detail eingegangen werden (vgl. dazu u.a.: Ertl, 1972, 1975, 1976, 1978, 1981, Leichsenring, Roth & Meyer, 1992, Roth & Meyer, 1988, 1989, Roth, Meyer  & Lampe, 1990, 1991, zsfd. Schubert, 2008). In ihrer Gesamtheit zeigen sie allerdings an, dass es sich bei der sprachlichen Prägnanztendenz um eine kommunikationsstilistische Variable mit breiter Indikator- und Prognosefunktion handelt: Hohe DOTA-Werte gehen u.a. einher mit …

 

 

Darüber hinaus konnte der Zusammenhang zwischen hohen DOTA-Werten und politischem Extremismus wiederholt aufgezeigt werden. Offensichtlich eignet sich der DOTA Kennwert auch als Indikator für Spannungen im gesellschaftspolitischen Bereich, was am Beispiel von politischen Reden in der Zeit der Weimarer Republik, an Reden von Nationalsozialisten (insbesondere von Hitler vor und nach der Machtergreifung sowie vor dem Zusammenbruch des Dritten Reichs), des Mauerbaus und der politischen Wende in Deutschland 1989/90 aufgezeigt werden konnte.

 

Inzwischen liegen auch eine Reihe von Vorschlägen zu Erweiterungen, Verfeinerungen und zur Re-Interpretation des DOTA-Systems vor (zsfd. Schubert, 2008, 115-122). Faktorenanalytische Studien haben vor allem gezeigt, dass das DOTA-Verfahren zwei klar unterscheidbare und auch statistisch voneinander unabhängige Aspekte der gesamtsprachlichen Prägnanz misst:

 

Referentielle Prägnanz: Tendenz zur sprachlichen (Über-) Generalisierung und Vereinfachung mit geringer Differenzierung in den Aussagen - hierbei handelt es sich um den „eigentlichen“ Dogmatismusindex. Beispiel: Nie bringst Du mir Blumen mit und immer drückst Du dich vor der Hausarbeit.

 

Operative Prägnanz: Tendenz zur Gewissheit und Notwendigkeit - sie zeigt die Kohärenz gedanklicher Abläufe und wird häufig als Ratio-Faktor bezeichnet. In gewisser Weise wird mit diesem Kennwert auch der Appellcharakter eines Textes erfasst. Beispiel: Es ist nun gewiss, …, wir müssen uns daher …

 

Während Ertl seine Studien noch mit Kodierern durchgeführt hat, liegt seit einiger Zeit eine computergestützte Version des DOTA-Verfahrens vor (vgl. Romppel, 1999).

 

Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde der Diktionär überarbeitet und in einigen Punkten leicht verändert - ohne dabei Struktur und „Philosophie“ des Systems zu modifizieren. Dies war einerseits notwendig, um Ausdrucksüberschneidungen zu einigen Sym-Tex-Diktionären zu vermeiden und andererseits galt es, das Verfahren an die neue Rechtschreibung anzupassen. Zudem wurden im SPSS-Syntax-Teil (zur Übertragung der Daten an SPSS) Programmteile zur Berechnung der Kennwerte für referentielle und operative Prägnanz hinzugefügt.